Fehlleistungsabkommen

Was mache ich mit einer Reisgutschrift, die ich bekomme, wenn ich einen Code eingegeben habe? Ich rätsle über die Nachricht in der App und denke an den vergessenen Einkaufszettel, den ich einmal im Einkaufswagen gefunden habe. Darauf stand unter anderem „Reis (Onkel Benz!!)“

Bei der Reisgutschrift hat sich halt jemand vertippt – oder enttippt, weil ja ein Buchstabe fehlt. Beim Onkel war es wohl die analoge Auto-Korrektur.

Alles halb so schlimm, aber lustig. So wie die hitzige Online-Diskussion, bei der ich das Thema vergessen habe. Aber ich erinnere mich an einen Kommentar: „Man muss das von der Meter-Ebene betrachten!“ Hauptsache, etwas mehr Abstand.

Mit Abstand ist man auch dem schludrigen Lektorat hoffentlich nicht mehr böse, das ein schönes Zitat in die Zeitung gebracht hat: „Ich bin ein sehr korrekter Mensch. Was immer ich tue, ich überpüfe immer alles doppelt und dreifach.“ Von wem das Zitat war, habe ich doppelt und dreifach vergessen.

Der falsche Fünfziger

Eine Bankfiliale, die Schalter sind seit wenigen Minuten geschlossen, die Scheibe ist weitgehend aus Milchglas, nur in Bodennähe sieht man Anzugbeine und polierte Schuhe, ein paar Meter weiter einen Putzwagen und Füße in Gesundheitsschuhen.

Im Foyer leeren zwei Burschen Münzen in den Sammelbehälter, es klirrt und klingt. Plötzlich ruft eine Dame am Einzahlung/Auszahlung-Terminal: „Hilfe! Mein Fünfziger ist weg!“

Gerade war er noch da, sie wisse es. 180 Euro: Ein Hunderter, ein Fünfziger, drei Zehner. Dann sei ihr das Geld runtergefallen. Der Fünfziger ist weg. Bestimmt unter dem Terminal. „Da drin, ich weiß es.“

Wir schauen nach, doch der Terminal ist festgeschraubt, der Spalt so schmal, dass man einen Geldschein hineinstopfen müsste. Verzweiflung. „Er ist da drin, ich weiß es.“

Die Anzugbeine werden herausgeklopft. Ein freundlicher junger Mann kommt zum gleichen Ergebnis: Unter dem Terminal kann er nicht sein. Wir durchsuchen Mistkübel, die Frau ihre Tasche, die Geldbörse, den Mantel. „Ich bin am Ende.“

Ein älterer Anzugträger kommt. Nein, unter dem Terminal ist nichts. Bestimmt. Aber die Karte, die eingezogen wurde, während die Frau in Panik geraten ist, kann er rausholen. Da kommt uns irgendwie – gemeinsam beim Durchspielen der Situation – eine Idee: Und wenn sie den Fünfziger schon eingezahlt hat und ihr dann der Rest runtergefallen ist? „Ich bin ja bitte nicht ganz blöd.“

Die Anzugträger gehen zum Terminal für die Kontoauszüge. Atemlose Stille. „50 Euro plus… vor 10 Minuten.“

Die Frau beginnt zu weinen. „Ich bin blöd.“ Wir trösten sie. Nein, das kann passieren, Hauptsache, der Fünfziger ist wieder da. Die Anzugherren sagen, sie helfen ihr, den Rest einzuzahlen. „Frohe Weihnachten!“ wünschen wir einander beim Abschied und meinen es wirklich.

Einsam unter vielen

Vor ein paar Tagen war ich unterwegs, übermüdet von vielen Geschichten und Gesichtern der Tage davor. Plötzlich stand am Parkplatz eine ältere Dame vor mir, wartete, bis ich den Einkauf in den Kofferraum geräumt hatte und deutete auf den Himmel: „Ich hab gerade geschaut, ob Regen kommt.“ Der Himmel war blitzblau und nahezu wolkenlos.

Doch ich wußte: Der Himmel ist nur der Henkel. Sie hat dann von ihrem Garten erzählt und dass sie sich eine saure Wurst mit Gebäck machen will. Aber Hemmungen hat, noch in den Supermarkt zu gehen, weil da so viel los ist. Und dass sie manchmal auf’s Trinken vergisst, weil sie in ihrem Garten so viel zu tun hat. Die Blumen, das Gemüse, die Obstbäume,… Über die, die nicht mehr kommen können oder wollen, haben wir nicht geredet. Ich hab ihr eine kleine Flasche mit Sportgetränk aus dem Kofferraum geschenkt. Sie hat sich gefreut und gleich gekostet. „Oh, das schmeckt ein bissl nach Krankenhaus! Aber im guten Sinn.“

Eine Viertelstunde später hat mir in der Gebäckabteilung im Supermarkt jemand eine Hand auf die Schulter gelegt. „Ich hab’s geschafft! Ich hol mir was für die saure Wurst.“ Wir haben beide gelacht, ich glaube, ich habe nichts Tiefschürfendes gesagt, eher sowas wie: „Juhu!“ Aber das war egal. Im guten Sinn.

Mist und Wetter

Auf dem Weg nach Hause begegne ich einem Schirm. Er fällt mir deshalb auf, weil es regnet und weil neben meinem Schreibtisch sogar zwei Schirme lehnen. Über meinem Kopf ist keiner – und das ist ein Pech.

Aber auch ein Schirm über dem Kopf bedeutet noch nicht automatisch Glück, wie der Regenschirm im Mistkübel vor mir beweist. Er schaut kaputt aus und ist nun neben einer Bierdose eingequetscht quasi ausgestellt, ein Mahnmal auf dem hastigen, nassen Weg in den Feierabend.

„Für Sie rund um die Uhr geöffnet.“ steht auf dem Mistkübel. Für den Schirm gilt das nicht. Für sie oder ihn war er offenbar nicht mal geöffnet, als es geregnet hat.

Nur zu Besuch

Neulich in der U-Bahn. Zwei ältere Damen sitzen einander gegenüber, jede hat einen Hut am Kopf und eine Einkaufstasche am Schoß.

„Was machen Sie heute noch?“

„Ich? Ich fahre zum Zentralfriedhof.“

Pause.

„Aber nur zu Besuch!“

Die beiden Damen kichern. Und ich muss schmunzeln. Ja, ich hab mich in der Früh schon über die Menschen geärgert, die sich mit riesigen Rucksäcken Schildkröten-gleich über den Bahnsteig, in den Zug und an den Sitzen vorbeidrängen, bis sie schließlich einen Platz am Gang in Beschlag nehmen. Der Rucksack sitzt derweil am Fenster.

Natürlich gibt es genug Gelegenheiten, um sich zu ärgern. Aber man kann es auch verschieben. Wenn man nicht mehr nur zu Besuch ist.

Allergische Reaktion

Im Wartebereich eines Spitals.

Zwei Frauen unterhalten sich.

„Fragt mich die Doktorin: Haben Sie Allergien? Sag ich: Ja, manchmal gegen meine Kinder. Sagt sie: Das gilt nicht.“

„Na super!“

„Sie weiter: Hausstaub? Ich: Ja, aber den gibt es bei mir nicht.“

„Haha, stimmt! So viel wie du immer putzt…“

„Sagt sie: Dann lassen Sie Ihre Kinder putzen! Ich: Geh, Frau Doktor! Sie haben keine Kinder, gell?“

„Und?!“

„Na warte… Sagt sie: Doch, 3!“

„Wahnsinn! Und operiert sie dich?“

„Ich hoff schon. Die kann das sicher.“

Staubtrocken.

Ellbogen in Gesellschaft

Die zwei Menschen sitzen eng nebeneinander, die Unterarme berühren sich leicht. Sie spürt den sanften Druck und erwidert ihn, zuerst vorsichtig, dann mit einer gewissen Bestimmtheit. Er schaut starr gerade aus und tut so, als würde er sie gar nicht bemerken. Dabei weiß sie, dass er sich ganz auf sie konzentriert und nur darauf wartet, wie sie reagiert. Sie vollführt eine elegante Bewegung aus der Schulter heraus und seufzt leise. Er nimmt abrupt den Arm weg und steht auf.

Keine Sorge, Sie sind hier richtig. Die Szene ist – auch wenn zwei Erwachsene in den Hauptrollen auftreten – komplett jugendfrei. Doch nicht nur die Erwachsenen spielen eine wichtige Rolle, der eigentliche Star ist die Armlehne zwischen den beiden. Sie ist heiß umkämpft, man erobert sie von Rechts und von Links. In einer meist stummen Choreographie machen sich die Menschen aus, wie viel von ihr wem gehört. Manchmal gelingt jemandem ein taktischer Sieg, manchmal gibt jemand freiwillig auf und räumt den Platz.

In den Pendlerzügen wird selten miteinander geredet. Man schaut in sein Smartphone – ob man es mit Schreckensmeldungen oder Frohbotschaften zu tun hat, kann man höchstens am Gesichtsausdruck ablesen. Man bleibt lieber für sich. Die Armlehne ist da die natürliche Grenze zwischen zwei Menschen. Man braucht keinen Reisepass, ein Ellbogen reicht.

Aber wie geht es der Armlehne dabei? Man weiß es nicht, sie sagt ja nie was und erträgt alles mit stummer Würde. Hätte sie eine Stimme, würde sie vielleicht singen: „Lean on me!“ oder „Wake me up before you go-go!“ Vielleicht mag sie es aber auch etwas dramatisch und hält es mit der Kaiserin Elisabeth: „Ich gehööööööör nur miiiir!“

 

 

 

Schatten-Monolog

„Weißt du, was das Ärgste ist?“

Ich überlege. Überlege, was das Ärgste ist und warum die Frau ausgerechnet mich das fragt. Wir kennen einander gar nicht, ich habe mich hinter sie in die Schlange vor der Kasse gestellt und…

„Der Alex hat die Manuela verlassen! Einfach so!“

Ja, das ist wirklich arg. Auch wenn ich die beiden auch nicht kenne.

Erlebnisse wie dieses haben sich zuletzt gehäuft. Und ich habe meistens nach einer Schrecksekunde bemerkt, dass man nicht mich fragt, was das Ärgste ist oder ob man gerade stört. Es sind die Kopfhörer, die oft zwischen Lockenmähnen oder unter Kapuzen versteckt sind und die Blicke, die mich halt zufällig treffen, weil man eben immer irgendwohin schaut, wenn man nicht gerade im Schlaf redet.

Dazu kommen die Menschen ohne Kopfhörer, die aber trotzdem keine Antwort erwarten, auch wenn sie etwas fragen. Aber halt nicht mich, sondern sich – und zwar laut. Sie führen Selbstgespräche vor Supermarktregalen, Fahrplänen oder Bildschirmen. „Wo haben die den Zucker hingestellt?“ – „Bleibt der Zug in Mödling stehen?“ – „Hab ich schon gespeichert?“

Da denke ich oft an eine Situation, in der eine ältere Dame sich in das Selbstgespräch einer anderen Dame eingemischt hat. Die andere Dame ist erstarrt, ihr Blick wurde blitzend. „Hallo?! Schau ich so aus, als würd ich eine Ansprache brauchen?“

Die Antwort der älteren Dame konnte man in ihrem Gesicht lesen, gesagt hat sie nichts.

Beim Selbstgespräch redet niemand zurück. Vielleicht ist ja das das Ärgste.

Gedärmere Leute

Schulklasse im Schnellzug. Alter: ca. 16. Mit Lehrerin. Alterslos.

Ich steige mittendrin ein.

L: „Wir fahren eh nicht so lang.“

S1: „Merken Sie nicht, was das Schulsystem mit uns macht?!“

L: „Also heute war es doch nicht so schlimm!“

S1: „Es ist der 4. Schultag und ich hatte schon fast einen Nervenzusammenbruch!“

L: „Es war doch nur ein Ausflug, der…“

S2: „Aber sooo stressig!“

S3: „Heeresgeschichte! Ich bin ja für Frieden!“

S2: „Ich bin soooo durstig!“

S4: „Teil ma uns dann ein Taxi?“

L: „Das ist doch bitte zu Fuß zu schaffen.“

S1: „Für Sie vielleicht.“

Die Lehrerin wird ignoriert. Sie tut, als würde sie nicht dazugehören. Es geht um Trinkgewohnheiten.

S2: „Ich trink dann immer voraus.“

S4: „Das heißt Vorglühen.“

S1: „Ich muss leider sagen: stimmt.“

Radikaler Themenwechsel.

S1: „Ich bin zu dick. Ich lass mir den Magen verkleinern.“

S2: „Manchmal macht man das bei älteren Frauen, denen nimmt man alle Gedärme raus.“

Ich hol doch meine Kopfhörer raus.

Stummes Ha

Aus der Reihe: Situationen, in denen man nicht laut lachen kann, weil es unhöflich wäre.

[] Die Verkäuferin ist schon ziemlich verzweifelt. Nichts passt dem Kunden, wo er doch ein Geburtstagsgeschenk sucht, das „schlicht und kreativ zugleich“ ist. Ich glaube, er meint, es soll billig sein, aber nicht so aussehen. Aber da wir in einer Blumenhandlung sind und ich nicht vom Fach bin, verhalte ich mich unauffällig. Die Verkäuferin runzelt die Stirn, schaut sich um und… ruft erleichtert und lockend zugleich: „Was ich noch hab: unglaublich schöne Elefantenfüße! Kommen Sie her!“

Der Kunde ist merkbar irritiert. Ich verlasse schnell das Geschäft. Bevor es mich zerreisst. Ich habe übrigens auch einen Elefantenfuß und bin daher doch ein bissl vom Fach.

[] Ein älterer Herr und eine Dame sitzen am Kaffeehaustisch nebenan und brüten über einer Glückwunschkarte darüber, was sie schreiben sollen. Eine gewisse Ratlosigkeit macht sich breit, denn die Dame hätte gerne „einen schönen Spruch“. Ihr fällt aber keiner ein. Dem Mann auch nicht – bis er schließlich erfreut ausruft: „Glück und Glas, wie schön ist das!“

Ich halte das Lachen zurück. Vielleicht ist er ja gelernter Glaserer oder das Geschenk ist aus Glas? Doch der Dame gefällt es auch nicht. Sie schüttelt den Kopf: „Eher so: Sei immer froh und heiter, der Weg geht mit dir weiter!“ Das würde sich gut als Motivationsspruch am Jakobsweg machen, denke ich und bemühe mich weiterhin, nicht laut zu lachen.

Schließlich wird es den beiden zu blöd. „Schreib einfach: ‚Alles Gute zum Geburtstag!'“ – „Das ist eh immer das Beste.“

[] Stöbern im Buchgeschäft. Eine Frau schaut sich beim Sondertisch Zeitgeschichte konzentriert um. Das Kind, das sie begleitet, langweilt sich offensichtlich und wirft immer wieder kurze genervte Blicke auf die Buch-Cover. „Mama, warst du eigentlich beim 1. Weltkrieg dabei?“ Die Frau erstarrt. „Maximilian, also bitte! So eine Frechheit!“ Das Kind gibt nicht auf: „Beim Zweiten?“ – Sie lacht nicht.